Seit gut einem Dreivierteljahr richtet die Polizeiakademie Niedersachsen unter der Leitung des Direktors Carsten Rose akademische Ringvorlesungen aus. Das Gelingen dieser besonderen Veranstaltungen unterstützt der Förderverein „Freunde der Polizei e. V.“ in besonderem Maße, da neben der thematisch und fachlich ansprechenden Auswahl der Referentinnen und Referenten eben auch die Präsentation und die Darstellung der Polizeiakademie als Institution, als Arbeitgeberin und als „Umschlageplatz für Wissen und Wissenschaft in der Polizei“ eine wichtige Rolle spielt. Flyer, Werbebanner und eine professionelle Dokumentation runden das Bild einer Veranstaltung „ausserhalb des Tellerrandes“ ab.

Eine akademische Ringvorlesung ist eine besondere Art der Vorlesung. Es handelt sich hierbei um eine Vortragsreihe, bei der sich ausgewiesene Dozentinnen und Dozenten aus unterschiedlichen Fach- bzw. Studiengebieten, Universitäten, Hochschulen oder anderen Institutionen einem zentralen Thema widmen. Vorteile einer Ringvorlesung liegen in der Vielfalt von Sichtweisen zu einem und demselben Themengebiet sowie der Möglichkeit, verschiedene Referentinnen und Referenten zu hören, die auch außerhalb des eigenen Fachgebiets angesiedelt sind. Die Vorträge finden jeweils als Abendvorlesungen außerhalb der regulären Studienzeiten statt. Die Teilnahme ist freiwillig, öffentlich und für alle Interessierten kostenfrei. Eine akademische Ringvorlesung bietet auch den Studierenden die Möglichkeit, im Rahmen ihres Bachelorstudiums eine akademische Vorlesung zu hören, deren Inhalte zwar nicht prüfungsrelevant sind, die jedoch einen interdisziplinären Zugang zu Fragestellungen ermöglichen und neue Perspektiven für Qualifikationsarbeiten und die eigenen Sichtweisen eröffnen können. Somit erleben die Studierenden der Polizeiakademie Niedersachsen eine Plattform des wissenschaftlichen Austausches und finden sich auch als Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Diskussionsforen und Gesprächsrunden wieder.

Die ersten Veranstaltungen dieser Art wurden sehr gut angenommen. Vor vollbesetzten Reihen der Aula Braunschweig am Standort Hann. Münden zogen zunächst Rita Steffesenn, Leiterin des ZKPF (Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung) mit dem Thema „Kinderpornografie“ und Prof. Dr. Dietmar Heubrock (Direktor des Instituts für Rechtspsychologie der Universität Bremen) mit den Themen „audiovisuelle Vernehmung von Kindern“ und „investigative psychology“ die Zuhörer in ihren Bann.

Die Veranstaltung von Frau Steffesenn im November 2018 transportierte Wissen zur kommerzialisierten Kinderpornografie mit recht eindringlichem Material. Dem Auditorium eröffnete sich eine neue Sichtweise auf die spezifischen Konsumenten der einschlägigen Webseiten. Rita Steffesenn konnte davon überzeugen, dass ein professionalisiertes und umsichtiges Vorgehen von Polizei, Staatsanwaltschaft und für den Schutz von Kindern und Jugendlichen verantwortlichen Behörden, sowie ein Nicht-Wegsehen der Gesellschaft einen Schutzwall um potenzielle Opfer (und Täter) errichtet und so zu einer erfolgreichen Bekämpfung dieser Verbrechen beiträgt. Frau Steffesenn beendete ihren Vortrag mit der Aussage, dies sei die eine Seite des Themas gewesen. Die andere Seite (sprich: die Seite der Opfer) solle an anderer Stelle besprochen werden.

Die Fortsetzung der Ringvorlesungen der Polizeiakademie Niedersachsen erfolgte dann folgerichtig am 26.03.2018. Erneut initiiert durch Frau Professorin a. d. PA Dr. Sabine Schildein, SG 4, und in Kooperation mit Frau KOK´in Claudia Wolters, SG 1, beide Studienort Hann. Münden, gelang es, Herrn Prof. Dr. Heubrock, Universität Bremen, für zwei Vorlesungen an diesem Tag zu gewinnen.

Dietmar Heubrock griff die abschließende These von Frau Steffes-enn gleich zu Beginn seiner Vorlesung auf und eröffnete mit der Kernfrage: „Was bedeutet es für ein aussagepsychologisches Gutachten, wenn die Erstvernehmung bereits mit Hilfe audiovisueller Methoden erfolgt ist?“ Hierbei stellte Prof. Heubrock besonders die Bedeutung der Gestaltung einer kindgerechten Gesprächssituation heraus. Unter Verwendung der audiovisuellen Aufzeichnung, so sein Tenor, könnte die kindliche Äußerung unverfälscht und ohne Suggestionseinflüsse unmittelbar und gerichtlich verwertbar dokumentiert werden. Man würde sich damit die Filterfunktion z.B. einer Kartenmethode ersparen, bei deren Verwendung die Aussage gegebenenfalls zu stark strukturiert erscheint und somit die Authentizität der Äußerungen in Frage gestellt werden könnte. Der Einfluss der Methode der Erstvernehmung und deren Dokumentation, so Heubrock, habe durchaus einen nicht unerheblichen Einfluss auf ein mögliches aussagepsychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten eines nachgeschalteten Sachverständigen.

Der zweite Vortrag mit dem Titel: „How to identify attackers before they act – a contribution to a terror defence.“ erfolgte unter Beteiligung des internationalen Studienkurses am gleichen Abend.  Prof. Dr. Heubrock stellte in diesem Kontext eine seiner aktuellen Experimentalreihen vor, die sich explizit mit der Verhaltensanalyse von Personen befasst, die sich in einer simulierten Tatsituation kurz vor der Durchführung eines terroristischen Anschlags befinden. Prof. Dr. Heubrock sprach hier von den „early red flags“, die der Attentäter unbewusst durch die Aktiviertheit seiner „emotional software“ zur Anpassung an die für ihn besondere Situation in komplexen Szenen zeigt – und die sich von geschultem Personal beobachten lassen!

Beide Veranstaltungen waren wie erwartet sehr gut besucht. Das Feedback der teilnehmenden Studierenden und der Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichen Dienststellen fiel einhellig positiv aus. Vielfach wurde der Wunsch geäußert, diese Form der Verzahnung von Wissenschaft und Praxis bitte weiter beizubehalten.

Organisiert werden die Ringvorlesungen durch die Initiative der Professorinnen und Professoren der Polizeiakademie Niedersachsen. Verantwortlich für die Auswahl der Themen und der Referentinnen und Referenten zeichnet Frau Prof. a. d. PA Dr. Sabine Schildein (SG4). Frau Schildein wurde 2015 zur Professorin für Psychologie an die PA Nds.  und lehrt in Aus- und Fortbildung am Standort Hann. Münden.

(von Dr. Sabine Schildein)

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