Eine Reise gegen das Vergessen

Beeindruckt, betroffen, mitgenommen, aber auch begeistert und motiviert zeigten sich 18 Studierende und Absolvent*innen der Polizeiakademie Niedersachsen im Anschluss an ihre Reise nach Israel. Vom 14. bis 18. Mai 2023 haben sie sich gemeinsam mit einer Delegation, bestehend aus dem Landespolizeipräsidenten Axel Brockmann, dem Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen Carsten Rose sowie weiteren Vertreter*innen aus dem niedersächsischen Innenministerium sowie der Polizeiakademie auf den Weg nach Jerusalem gemacht. Neben dem Ziel, eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen und der International School for Holocaust Studies (ISHS) zu unterzeichnen, sollte es vor allem auch eine Reise für die Studierenden werden. Antisemitismusprävention, Sensibilisierung in Bezug auf Ausgrenzung, Betrachtung der Rolle der Polizei während der Shoah sowie der Umgang mit dieser im Nachkriegsdeutschland –  sind nur einige Stichworte, um die es gehen sollte.

Eine Reise in ein so symbol- und geschichtsträchtiges Land wie Israel, verbunden mit dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, der Teilnahme an drei Workshops zur Rolle der Polizei während der Shoah und einer Führung durch die Altstadt von Jerusalem, steht nicht alltäglich auf dem Plan der Studierenden der Polizeiakademie Niedersachsen, sodass sich die kleine, ausgewählte Gruppe umso mehr freute, bei dieser ersten und auch besonderen Reise dabei sein zu dürfen. Mit welchen Erwartungen sie die Reise angetreten sind, welche Eindrücke sie besonders bewegt haben und mit welchen ganz persönlichen Highlights sie zurückgekommen sind, berichten nun einige Teilnehmende der Reise.

Die erste Reise nach Israel – das war es für einen Großteil der Studierenden und Absolvent*innen. Für Luise Hoffmann, die ihr Studium in Hann. Münden absolviert, ist mit der Teilnahme ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: „Ich wollte schon immer dorthin reisen, das Land und die Kultur interessieren mich sehr.“ Neugier und Spannung beschreiben am besten, mit welchen Gefühlen sie sich in den Flieger begeben hat. Decken sich die medialen Berichte mit der Wirklichkeit? Wie ist es vor Ort? Arne Brammer, aktuell im zweiten Studienjahr am Studienort Nienburg, sieht dies ähnlich: Auf seiner ersten Reise nach Israel war er vor allem gespannt, wie der Unterschied zwischen den uns bekannten medialen Berichten und den persönlichen Erfahrungen der Lage vor Ort sein wird.

Auch für Merten Kühme, der kürzlich sein Studium beendet hat und aktuell seinen Dienst im Polizeikommissariat Wildeshausen versieht, war es der erste persönliche Kontakt zu einem Land mit einem besonderen Status „als Sammelpunkt vieler Weltreligionen, auch aufgrund der politischen Dimensionen“, so der Polizeikommissar. Da er das Land bisher nur aus Büchern und den aktuellen Presseberichten kannte, teilte er die Gefühle der Neugier und Spannung. Aber auch eine Ungewissheit schwang mit im Hinblick auf das, was ihn erwarten würde.

So ganz ohne Vorerfahrung wurde die Reise nicht angetreten. Neben all den Informationen, die in Unterrichten in der Schule vermittelt wurden, gab es für die Teilnehmenden vier Vorbereitungstreffen mit Fokus auf Kultur und Geschichte des Landes Israel. Hoffmann sowie weitere Teilnehmende äußerten, dass oft lediglich die Täterperspektive beleuchtet werde. Zahlen wie 6 Mio. ermordete Juden waren bekannt, aber abstrakt und wenig greifbar. Erst Einzelschicksale machen das ganze Ausmaß greifbarer, äußert sich Kühme. Zu verstehen sei es trotzdem nicht.

Voll Vorfreude, Spannung und ein wenig Ungewissheit also trat die Gruppe die Reise an und wurde direkt bei Ankunft offen, einladend und freundschaftlich begrüßt. Sowohl Hoffmann als auch Brammer hoben hervor, dass sie sich während der ganzen Reise zu keiner Zeit unsicher oder unwohl fühlten. Jerusalem als ein Ort, an dem viele verschiedene Menschen aufeinandertreffen, zeigte sich vielfältig, tolerant und aufgeschlossen, berichtete Hoffmann. Auch der Austausch mit israelischen Polizistinnen und Polizisten, so der Tenor der Teilnehmenden, war durchweg positiv.

Auf dem Programm der Reise standen Workshops zum Thema Holocaust, Besuche des Museums in Yad Vashem sowie ein Gang durch das Tal der Gemeinden. Der Besuch des Museums „hat mich emotional von Anfang bis Ende mitgenommen“, berichtete Ümmüce Dündar. Die Studentin steht kurz vor Beendigung ihres Studiums an der PA NI und war vor knapp 10 Jahren bereits schon einmal in Yad Vashem. Das Gefühl, dieser emotionale Eindruck ist auch nach dieser Zeit immer noch vorhanden.

Luise Hoffmann beschreibt eindrucksvoll ihr Gefühlschaos beim Besuch der Halle der Namen: Trauer und Wut mischte sich mit dem Gefühl der Erleichterung, aber „auch ein wenig Freude, da ich weiß, dass es diesen Ort für die ermordeten Jüdinnen und Juden gibt“. Die Halle der Namen ist ein Denkmal des jüdischen Volkes für alle im Holocaust ums Leben gekommene Juden und Jüdinnen. Die Zahl 6 Millionen bekommt hier einen ganz neuen Charakter, wird greifbarer, das Ausmaß der Tragödie dadurch verstärkt, dass in einem 10 Meter hohen Kegel 600 Fotografien von Opfern gezeigt werden, die sich in einem Brunnen unter dem Kegeln spiegeln. In Regalen am Rand der Halle werden über 2 Mio. Gedenkblätter von Holocaust-Opfern aufbewahrt. Platz ist für 6 Mio. So ein Moment kann nur stillschweigend verbracht werden.

Weitere Teilnehmende berichteten auch von dem emotionalen Einfluss des Mahnmals zur Erinnerung der während der Herrschaft der NSDAP ermordeten jüdischen Kinder, einem wahren Gänsehautmoment. Durch einen immer schmaler werdenden Gang wurden die Besucher*innen in einen dunklen, verspiegelten Raum geleitet, in dem sich das Licht von fünf Kerzen unzählig oft spiegelt. Zu hören war die israelische Nationalhymne, gesungen von Kindern eines Gymnasiums. Für Merten Kühme ein nur schwer ertragbarer Moment: „Draußen schien die Sonne. Der Wind hat die Bäume zum Rascheln gebracht. Es könnte so ein schöner Ort sein.“

Eine Reise ins Ungewisse, verbunden mit Hoffnungen und Wünschen, führte zu unerwarteten Highlights. So war für die Teilnehmenden die Stadtführung durch Jerusalem mit vielen Eindrücken verbunden, aber auch das Seminarprogramm und der Besuch der eindrucksvollen Gedenkstätte waren, so sind sich Brammer und Hoffmann einig, überragend. Merten Kühme freute sich sehr über das Wiedersehen mit dem Shoah-Zeitzeugen Tswi Herschel und seiner Tochter Natali, deren Vortrag er bereits im Rahmen des Studiums hören durfte. Sie nun in ihrem Heimatland wiederzusehen, löste ein Gefühl von Zufriedenheit in ihm aus. Andere Studierende stimmten ihm zu und sprachen von „einem wunderbaren Essen und fantastischer Gesellschaft“. Der soziale Aspekt spielte in den Äußerungen der Teilnehmenden keine unwichtige Rolle: „Wir sind in der kurzen Zeit gut zusammengewachsen“, so Hoffmann, und Dündar ergänzt: „Der abendliche Austausch, das gemeinsame Zusammensitzen waren Momente voller Leichtigkeit.“

Am Ende der Reise stand die Gruppe vor der Aufgabe, die gesammelten Eindrücke und Informationen sacken zu lassen und zu verarbeiten, so Hoffmann. Sie ist stolz, dass sie Teil dieser bewegenden und auch besonderen Reise sein durfte. Kühme ist überzeugt, dass ihn die Reise nachhaltig bewegen wird.

Eine Reise zur Holocaust-Thematik mit dem Höhepunkt der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages zwischen der Polizei Niedersachsen und der International School für Holocaust Studies Yad Vashem hat natürlich auch Einfluss auf das zukünftige Handeln der künftigen Polizist*innen. Bei dieser besonderen Unterzeichnung betonte Carsten Rose, Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen: „Wir müssen noch mehr darüber reden, damit sich das Rad der Geschichte nicht plötzlich rückwärts dreht.“ Sie müsse erzählt werden, die Geschichte der Shoah. Erinnerungsorte wie Yad Vashem seien dazu immens bedeutsam, so Rose. Er hob zudem die Wichtigkeit der Bildungsarbeit in diesem Kontext hervor. Auch der Landespolizeipräsident Axel Brockmann fand bewegende Worte: „Ein wehrhafter demokratischer Rechtsstaat braucht eine Polizei, die schon die Anfänge von Antisemitismus nicht nur erkennt, sondern ihnen entschlossen entgegentritt.“ Er ist sich der Verantwortung der deutschen Polizei bewusst und richtete direkte Worte an den Vorstandvorsitzenden von Yad Vashem, Dani Dayan: „Haben Sie keinen Zweifel daran, dass wir den Antisemitismus mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.“

Welche Auswirkungen diese Reise auf die Teilnehmenden hat, wird sich wahrscheinlich erst in Zukunft so richtig abzeichnen. Doch auch heute ist schon vieles klar:

Eine bessere Einschätzung antisemitischen Handelns, versprechen sich Hoffmann, Kühme, Brammer und weitere Teilnehmenden von den Erfahrungen, verbunden mit der Hoffnung, Ausgrenzung und Fremdenhass frühzeitig wahrnehmen und als künftige Polizist*innen für den Schutz aller Menschen einzustehen zu können. Dündar wünscht sich, „dass auch die nächsten Jahrgänge von dieser Erfahrung profitieren“ und Teil einer bewegenden Reise werden dürfen.  (von Maren Albers)

Hintergrundinformationen zu Yad Vashem:

Die internationale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Israel, verfolgt die Aufgabe, bekannte Informationen über die Shoah zu dokumentieren und Forschungen durchzuführen. Mit dem Ziel, das ganze Ausmaß der Shoah zu verdeutlichen, wird im Museum der Gedenkstätte vor allem die Opferperspektive dargestellt. Auf einer Fläche von ca. 18 Hektar befinden mehrere Museen, Denkmäler sowie Schulungs- und Forschungszentren. Die Gedenkstätte wird jedes Jahr von etwa 1 Million Menschen besucht.

Mit der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung hat nun auch die Polizei Niedersachen und vor allem die Polizeiakademie die Möglichkeit, den Demokratiegedanken bei Studierenden noch weiter in den Fokus zu rücken und greifbar zu machen. Der Besuch der Gedenkstätte ermöglicht eine persönliche und ganz andere Erfahrung mit Antisemitismus und seinen Folgen.

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