Einführung

In der Protest- und Bewegungsforschung ist Deutschland, auch international, als bewegungsaffine Gesellschaft bekannt.[1] Als Beispiele dienen hier die Friedensmärsche oder auch Protestbewegungen rund um die Umwelt, die in der Bevölkerung ein massives Mobilisierungspotential entfaltet und auch große Wirkung erzielt haben.[2]

Aktuell ist wiederum eine Umweltbewegung in den Fokus der Medien gerückt. Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg protestiert seit geraumer Zeit jeden Freitag vor dem Parlament in Göteborg und schwänzt hierfür bewusst die Schule. Tausende Schüler berufen sich nach dem Vorbild Thunbergs jeden Freitag auf Art. 8 Grundgesetz (GG) und ignorieren die für sie bestehende Schulpflicht, unterstützt von Menschen die dem Vorbild der Schülerinnen und Schüler folgen.

Schulpflicht und Versammlungsfreiheit

Die Schulpflicht kann grundsätzlich auf Art. 7 GG zurückgeführt werden. Inwieweit das Grundgesetz in Art. 7 GG selbst eine Schulpflicht normiert kann dabei dahingestellt sein, jedenfalls sieht Art. 7 Abs. 1 GG einen umfassenden Erziehungsauftrag für den Staat vor und sichert ihn verfassungsrechtlich ab.[3] Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass hieraus das Recht der Länder resultiert, eine Schulpflicht einzuführen.[4] In Niedersachsen normiert Art. 4 der Verfassung eine Schulpflicht, deren Ausgestaltung in den §§ 63 ff NSchulG vorgenommen wird.

Die Versammlungsfreiheit findet ihre Grundlage in Art. 8 GG. Das BVerfG hat die grundlegende Bedeutung der Versammlungsfreiheit spätestens im Brokdorf-Beschluss herausgestellt und auf die wesentliche und grundlegende Bedeutung der Versammlungsfreiheit im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses hingewiesen.[5] 

Die grundsätzliche Frage, inwieweit sich Schülerinnen und Schüler überhaupt auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen können, ist zum Glück seit der Strafgefangenenentscheidung des BVerfG eindeutig beantwortet.[6] Auch wenn die Schülerinnen und Schüler sich in einem besonderem Verhältnis befinden und der Schulpflicht unterliegen, ändert dies nichts an ihrer Berechtigung, sich auf Grundrechte berufen zu können.

Die Schulgesetze sehen dabei durchweg Möglichkeiten der Befreiung von der Schulpflicht vor.

Ob die Teilnahme an einem Protestereignis einen solchen Grund darstellen kann, ist hingegen fraglich. Auch in der öffentlichen Diskussion scheint es eine starke Polarisierung zu geben zwischen Befürwortern und Gegnern der Proteste, die sich jedoch weniger auf rechtliche denn mehr allgemeine Argumente beziehen. Oft wird nur scheinbar in der Argumentation abgewogen, vielmehr wird eher festgestellt, dass dies halt so sei, die Schulpflicht vorgehen müsse.

In einer Entscheidung des VG Hannover vom 24.01.1991 hat dieses darauf hingewiesen, dass der Konflikt nur im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung gelöst werden kann. Auch die Frage der Intensität des Unterrichtsausfalls sei ein wesentlicher Faktor.[7] Keiner Position könne von vornherein ein Vorrang eingeräumt werden, es sei immer eine Rechtsgüterabwägung im Rahmen einer praktischen Konkordanz vorzunehmen.[8] Berücksichtigt man in diesem Rahmen den in § 2 NSchG formulierten Bildungsauftrag der Schulen, muss berücksichtigt werden, dass gerade auch die politische Betätigung an sich, so auch die Teilnahme an Protestereignissen, genau diesem Bildungsauftrag entspricht und ihm nicht grundsätzlich entgegensteht.

Entsprechend liegt die Verantwortung für eine Sanktionierung bzw. Disziplinierung grundsätzlich bei den Schulen. Mit Verweis auf die hohe Bedeutung der Versammlungsfreiheit und sich den aus dem Brokdorf-Beschluss ergebenden Anforderungen an polizeiliches Handeln, kann diese Abwägung nicht in der polizeilichen Einsatzsituation stattfinden, sondern muss vor- oder hinterher im Verantwortungsbereich der Schulen positioniert werden. (mz)

 

[1] Neidhardt / Rucht, Auf dem Weg in die Bewegungsgesellschaft, Soziale Welt, 1993, 305, 321

[2] Rucht / Roth, Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, Seite 264 ff.

[3] Thiel, in: Sachs, GG, Art. 7, Rn. 12; Hagebölling, in: PDK Nds. NV, Art. 4, Seite 53.

[4] BVerfGE 34, 165, 181, 186 ff.

[5] BVerfGE, 69, 315, 315.

[6] BVerfGE, 33, 1.

[7] VG Hannover, NJW 2001, 1000.

[8] A.a.O, S. 1001. Ebenso VG Hamburg, NVwZ-RR, 2012, 892.

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