Eigentlich hätte der Weg für die ausgewählten Angehörigen des Bachelor-Studiengangs nach Jerusalem zu einem Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem führen sollen, doch leider konnte dieses aufgrund der Sicherheitslage in Israel nach den verheerenden Anschlägen vom 7. Oktober 2023 nicht verantwortet werden.
Mit dem Kooperationspartner, der Gedenkstätte Yad Vashem, wurde zügig ein Ersatzprogramm entworfen, welches der Intention der Kooperationsvereinbarung Rechnung trug. Eine Delegation von 16 Studierenden und Angehörigen der Polizeiakademie Niedersachsen, vorwiegend Mitarbeitende der Forschungsstelle für Polizei- und Demokratiegeschichte unter der Leitung von Dr. Dirk Götting, reisten vom 11. bis 17. Februar 2024 über Berlin nach Lodz, Dobra und Chelmno, um die Gräueltaten der Nationalsozialisten und die Rolle der Polizei in dem Terrorregime vor Ort nachzuvollziehen. Inhaltlich wurde die Bildungsreise wesentlich durch die israelischen Kooperationspartner, in Bezug auf die Rolle der Polizei durch die Forschungsstelle für Polizei- und Demokratiegeschichte, gestaltet.
Zunächst führte die Reise nach Berlin, wo Anne Lepper und Julian Tsapir von der International School for Holocaust Studies in ihren Vorträgen und Workshops deutlich machten, was es hieß, zur Zeit der Shoah zu leben, welches Leid die Menschen ertrugen und wie wichtig die Erinnerungskultur aus jüdischer Perspektive für uns alle heute ist. In einem Grußwort unterstricht der aus Hannover angereiste Niedersächsische Landesbeauftragte gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens Prof. Dr. Gerhard Wagner, die Bedeutung der Bildungsarbeit.
Anschließend ging es weiter nach Polen. Den Teilnehmenden wurde durch die Reise in das Nachbarland ein tiefer Einblick in die Zeit des Holocaust gewährt. Bei den Besichtigungen des ehemaligen Ghettos Litzmannstadt sowie des Vernichtungslagers Kulmhof machte der mitreisende Roland Vossebrecker die Schrecken und unmenschlichen Lebensbedingungen, die dort seinerzeit herrschten, mit Originalaufnahmen und Zitaten von Jüdinnen und Juden für alle nahezu erlebbar. Immer wieder wurde die Rolle der Polizei thematisiert.
Ein besonders intensives und einprägsames Erlebnis war die Begegnung mit dem lebensfrohen 98-jährigen Zeitzeugen Dr. Leon Weintraub, Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande, der als Jugendlicher im Ghetto Litzmannstadt lebte und 1944 mit seiner Familie in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Weintraub, extra mit seinem Sohn aus Schweden angereist, um die Gruppe an den Ereignisorten zu begleiten, bezeichnet sich selbst als „Sieger“ und nicht als „Opfer“. Eindringlich und detailliert schilderte er, wie der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen sein noch junges Leben völlig veränderte, wie er und seine Familie im Ghetto unter widrigsten Umständen zu überleben versuchte und am Ende ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Ein Ort, den seine Mutter und Tante nicht überlebten. Er schilderte seine Flucht, die Heirat einer deutschen Frau und seinen unbändigen Willen ab 1946 in Göttingen Medizin zu studieren – nach eigenen Worten, um etwas für das Leben zu tun.
Auf Einladung von Leon Weintraub besuchte die Reisegruppe den alten jüdischen Friedhof in Dobra (Powiat Turecki). Dank der Initiative des hier geborenen Leon Weintraub wurde der Friedhof zu einem Gedenkort umgestaltet. Er erinnert an die von den Deutschen angezündete Synagoge und an die in der Shoah ermordeten Jüdinnen und Juden von Dobra. Bei einem anschließenden Mittagessen mit dem Bürgermeister des Ortes wurde der Wert der Erinnerungskultur und die Völkerverständigung hervorgehoben.
Letzte Station der Reise war das Vernichtungslager Kulmhof (heute Chelmno). In bedrückender Weise erinnert das Museum und das Waldlager an die dort begangenen Verbrechen der Deutschen. In eindrücklicher Weise verdeutlichte der Leiter der Forschungsstelle für Polizei- und Demokratiegeschichte, Dr. Dirk Götting, die maßgebliche Rolle der Polizei in dem staatlichen Terror- und Vernichtungsregime der Nationalsozialisten.
Die Eindrücke und der Wert der Reise werden gut durch die Gedanken von Polizeikommissaranwärter Guido Keck und Marie Jacob beschrieben:
„Im Waldlager (Vernichtungslager Kulmhof) war es eine Betonmauer, an welcher etliche Gedenktafeln der Hinterbliebenen der Opfer angebracht waren, welche mir dann letztendlich auch einige Tränen abverlangte. An Erinnerungsorten wie diesen bekommen die Zahlen der Shoah einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte.“
„… welche Aufgabe wir als Polizei haben, an die Zeit zu erinnern und dafür in der heutigen Zeit einzutreten, dass sich solch ein Ereignis nicht wiederholt…“
Ein Fazit, welches der Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, Carsten Rose, unterstreicht:
„Das Geschehene ist heute nur schwer vorstellbar und greifbar. Wir alle kennen die Geschichte aus der Schule. Aber erst, wenn man diese Orte besucht, sie mit seinen eigenen Augen sieht und sich mit Zeitzeugen austauscht, können wir zumindest ansatzweise verstehen, was den Menschen damals Schreckliches widerfahren ist. Gleichzeitig verdeutlicht dies, welche große Verantwortung gerade wir als Polizistinnen und Polizisten in der heutigen Zeit für die Gesellschaft und für unsere wehrhafte Demokratie tragen.“
Der Verein der Freunde der Polizeiakademie Niedersachsen e.V. förderte die Besuche des jüdischen Friedhofs in Dobra und des Museums in Chelmno. (ma und mq)












